In der Ruhrgebietsmetropole ist die AfD bei den Zweistimmen an der SPD vorbeigezogen. , © Christoph Reichwein/dpa

AfD legt im Ruhrgebiet stark zu – Sorge in Gelsenkirchen

Im Sommer hat das muntere Treiben rund um Fußball-EM und Taylor-Swift-Auftritte die Ruhrmetropole Gelsenkirchen international ins Rampenlicht gerückt, nun sorgt der Wahlerfolg der AfD für Schlagzeilen. Die in Teilen als rechtsextremistisch eingestufte Partei holte hier bei der Bundestagswahl 24,7 Prozent der Zweitstimmen und landete knapp vor der SPD auf dem Spitzenplatz im Wahlkreis 122. 

Die Sozialdemokraten verloren im Vergleich zur Bundestagswahl 2021 erheblich. Sie büßten 13,0 Prozentpunkte ein und landeten in Gelsenkirchen bei 24,1 Prozent, die AfD legte fast im selbem Umfang zu. Unter 64 Wahlkreisen in Nordrhein-Westfalen liegt die AfD nur in der 150.000-Einwohner-Stadt vorn. 

NRW-AfD zeigt sich erfreut, SPD-OB besorgt 

Die AfD-Landespartei spricht von einem «Triumph» in Gelsenkirchen, der historisch sei. «Den Wahlkreis in der ehemaligen Herzkammer der Sozialdemokratie konnten wir bei den Zweitstimmen für uns entscheiden. Es zeigt sich, dass wir uns auch im Westen mehr und mehr etablieren», meint Landeschef Martin Vincentz. 

Gelsenkirchens Oberbürgermeisterin Karin Welge (SPD) ist besorgt und sagt der Deutschen Presse-Agentur: «Aktuell droht das vertrauensvolle und lebensfrohe Miteinander der Gelsenkirchenerinnen und Gelsenkirchener in ihren Quartieren und Stadtteilen in Gefahr zu geraten und damit das gesamte Potenzial unserer Stadt.» Sie verweist auf Bund und Land. 

«Wenn Städte über Jahre und Jahrzehnte Sparzwänge erleben und keine ausreichenden Mittel für die Instandhaltung der Infrastruktur haben, macht das auch etwas mit den Menschen.» Düsseldorf und Berlin hätten sich diesen Zustand «schulterzuckend aus der Ferne angesehen», ohne für ausreichende Kommunalfinanzierung gesorgt zu haben. Das werfe die «Frage nach der Gleichwertigkeit von Lebensverhältnissen» auf. 

Gelsenkirchen hat hohe Armuts- und Arbeitslosenquoten

In Gelsenkirchen stehen viele Häuser und Geschäftsräume leer und sind sanierungsbedürftig. Die Stadt hatte ein großes Programm gestartet, um «Schrottimmobilien» aufzukaufen. Nicht wenige Bürgerinnen und Bürger empfinden ihre Heimatstadt als ziemlich abwirtschaftet. Anfang 2024 lag die Arbeitslosenquote in der Ruhrmetropole mit gut 15 Prozent bundesweit am höchsten. Auch die Armutsquote ist hoch. 

Gelsenkirchen sei ein extremes Beispiel, sagte NRW-Innenminister Herbert Reul (CDU) im WDR zum dortigen Abschneiden der AfD. «Das zeigt natürlich, dass da vermutlich die Stimmen eher von der SPD gekommen sind.» Der CDU-Politiker ergänzte: «Ich glaube, im Ruhrgebiet – wird man sich jetzt genau anschauen müssen – aber den Eindruck habe ich, dass die AfD auch sehr stark von der traditionellen SPD-Arbeiterschaft profitiert.» Politologe Norbert Kersting hält die Wählerschaft der AfD grundsätzlich aber immerhin für deutlich moderater als die teils rechtsextremen Positionen der Partei. 

OB Welge sieht im Wahlergebnis Wunsch nach einfachen Lösung  

Die Fußball-EM und die Konzerte von Megastar Swift hatten die Stadt im Sommer 2024 ins Rampenlicht gerückt. Gelsenkirchen – mit Augenzwinkern vorübergehend im «Swiftkirchen» umbenannt – sei ein angesagter «Place to be» geworden, hatte ein Sprecher damals gesagt. Von der Euphorie scheint in der Heimatstadt von Bundesligist Schalke 04 aber nicht viel geblieben zu sein. OB Welge hatte im Sommer 2024 von einem «Imagegewinn» gesprochen.

Nun beobachtet die SPD-Politikerin: Fehlende Gleichwertigkeit von Lebensverhältnissen führe zum Wunsch nach einfachen Lösungen. «Wenn man sich in den bundesweiten Analysen ansieht, welche Bevölkerungsgruppen überproportional AfD gewählt haben, dann sind das insbesondere Menschen aus unteren und mittleren Einkommensgruppen.» 

Dass die Partei in Städten mit einer vergleichsweise hohen Arbeitslosigkeit und damit verbundenem geringen Einkommen wie im Ruhrgebiet gut abschneide, dürfe niemanden überraschen, sagt Welge der dpa. «Gemessen an der sozialen Lage vieler Menschen hier vor Ort liegt das Ergebnis, so schmerzlich es auch ist, nicht übermäßig über dem Bundesschnitt und den Ergebnissen vieler teils eher bürgerlich geprägter Wahlkreise.» 

Auch in anderen Städten im Ruhrgebiet schneidet AfD stark ab 

Insgesamt ist die AfD ist mit 18,8 Prozent drittstärkste Kraft im Ruhrgebiet geworden und hat im Vergleich zu 2021 10,3 Prozentpunkte hinzugewonnen, wie es beim Regionalverband Ruhr heißt. Das höchste Ergebnis hat die Partei in Gelsenkirchen, das niedrigste mit 12,2 Prozent im Wahlkreis 119 Essen III. Das Ruhrgebiet galt einst als SPD-Hochburg, auch wenn die Zustimmungswerte für die Sozialdemokraten seit Jahren im Revier immer deutlicher bröckelten. 

Starke Zuwächse bekam die AfD diesmal auch im Wahlkreis Duisburg II, wo sie mit 24,6 Prozent nur ganz knapp hinter der SPD landete, die auf 25,2 Prozent bei den Zweitstimmen absackte. In Oberhausen oder auch den Wahlkreisen Herne-Bochum und Hagen kam die AfD knapp über 20 Prozent, blieb aber auf Platz zwei oder drei. Insgesamt hat sich die Partei landesweit in NRW auf rund 16,8 Prozent verbessert und bundesweit ihren Zweitstimmenanteil auf 20,8 Prozent verdoppelt, wie weiter aus Daten der Bundeswahlleiterin abzulesen ist.

Quelle: dpa