Beim großen Moment von Bergmann Jürgen Jakubeit flossen reichlich Tränen: Am 21. Dezember 2018 hat der Reviersteiger bei der Abschiedszeremonie in Deutschlands letzter Steinkohlenzeche «Prosper Haniel» in Bottrop Bundespräsident Walter Steinmeier symbolisch ein großes Stück Kohle überreicht. Ein emotionaler Schlusspunkt für den Bergbau. «Die Erinnerung tut heute noch weh», sagt Jakubeit, den alle nur «Jacke» nennen, sechs Jahre später. «Kein Tag seitdem, an dem Du nicht an Bergbau denkst.»
Der 56-Jährige ist im Vorruhestand, zieht aber weiter fast jede Woche Helm, Arbeitskluft und Sicherheitsschuhe an: Jakubeit führt ehrenamtlich Besucher durch das einstige Übungsbergwerk in Recklinghausen, in dem der Zechenbetreiber RAG viele Jahre Jung-Bergleute ausgebildet hat.
Das Trainingsbergwerk mit mehr als 1,3 Kilometern Streckennetz wird jetzt von einem Verein betrieben. Es bietet praktisch alle Maschinen von der «Dieselkatze» zum Transport der Männer bis zum Abbauhobel am Kohleflöz, liegt aber nicht 1000 Meter unter Tage, sondern ist nur wenige Meter unterirdisch in eine Abraumhalde hineingebaut. Und es wird natürlich nicht wirklich Kohle abgebaut.
Sogar der Geruch ist wie früher im Bergbau
Dennoch: «Wie es war im Bergbau – realistischer als hier gehts nicht», sagt Jakubeit. Sogar der typische Geruch nach einer Mischung aus Öl, Fett und Förderband-Gummi stimmt. «Ex-Bergleute holt das komplett ab.» Besucher dürfen im Übungsbergwerk auch mal große Maschinen wie einen Kipplader mit 1,5-Tonnen-Schaufel fahren. Attraktion ist die 2,5-stündige Erlebnisführung, bei der die Beleuchtung ausgeschaltet wird. «Die Welt unter Tage nur mit dem Licht einer Kopflampe», wirbt der Förderverein, dem viele frühere Bergleute angehören.
Die Besucher sind meist begeistert. Führungen gibt es jeden Tag außer Montag, der für Reparaturen reserviert ist. Jakubeit hält aber nichts von Romantisierung. «Unter Tage ist der Boden durch den Gebirgsdruck viel unebener als hier». In über 1000 Metern Tiefe drücken die Steinschichten mit gewaltiger Kraft auf das Bergwerk. Dagegen mussten die Bergleute ständig anarbeiten. Im Abbau gab es deshalb auch keine Feiertage oder Weihnachtsruhe, erzählt er.
Laute Maschinen und 75-Kilo-Stempel
Die Maschinen waren für heutige Verhältnisse unfassbar laut – wie der Bergmann mit einem Drucklufthammer für den Streckenvortrieb demonstriert. Im Abbau mussten 75 Kilogramm schwere Stempel immer wieder gelöst und von Hand versetzt werden. «Wenn Du das 20 Mal pro Schicht gemacht hast, weißt Du, was Du getan hast», erzählt Jakubeit. Gearbeitet wurde in Wechselschicht mit Beginn um 5, 11, 17 und 23 Uhr.
Die Arbeit war hart, laut und gefährlich, sagt der Bergmann: «Fast jedes Jahr hatten wir früher tödliche Unfälle – oft kurz vor Weihnachten.» Nach Schätzungen von Historikern sind in deutschen Kohlegruben insgesamt mehr als 10 000 Bergleute ums Leben gekommen. Selbst ohne Unfälle drohten Lungenerkrankungen durch den feinen Stein- und Kohlenstaub.
In der Disco gleich die ganze Flasche
Trotzdem hat Jakubeit sich niemals einen anderen Job gewünscht. «Die Bezahlung hat von Anfang an gestimmt. 1000 Mark schon als junger Kerl in den 1980-ern, 150 Mark Kostgeld, der Rest war Dir. Da hast Du in der Disco kein Glas Sekt bestellt, sondern gleich die ganze Flasche.» Mit der Arbeit als Besucherführer wollen er und etwa 60 Kollegen die Erinnerung an den Bergbau wachhalten, den sie bis heute als ihre «Berufung» sehen, sagt Jakubeit. Ob der Kohleförderungsausstieg 2018 aber trotzdem richtig war? «Das dürfen Sie einen Bergmann nicht fragen», sagt er.
Quelle: dpa