Als Ricardo Pietreczko vor der WM den typischen Tagesablauf eines Darts-Profis skizzieren sollte, staunten einige Zuhörer nicht schlecht. Der 30 Jahre alte Nürnberger zog symbolisch den aktuellen Tag heran und betonte, er habe bereits am Morgen zumindest an Training gedacht – doch dann habe ihn seine Freundin an die Medienrunde erinnert, die einzig große vor dem Turnier.
«Dann habe ich mir erstmal die Playstation angemacht und bin zwei, drei Rennen bei Gran Turismo gefahren. Wenn ich Lust habe, werde ich mich danach mal ein bisschen ans Board stellen – wenn nicht, werde ich weiter Playstation spielen», schilderte Pietreczko in einer bemerkenswerten Offenheit, wie sie in anderen Sportarten undenkbar wäre.
Überraschung gegen van Veen
Kritiker nannten die Aussagen von Pikachu, wie Pietreczko genannt wird, nicht offen, sondern hochgradig unprofessionell. Es ist daher nicht frei von einer gewissen Komik, dass genau dieser Pietreczko Deutschlands letzter übriger Vertreter bei der WM im Ally Pally ist.
Am Samstag (14.45 Uhr/Sport1 und DAZN) hat er gegen den englischen Vorjahres-Halbfinalisten Scott Williams die Chance, erstmals und als zweiter Deutscher überhaupt ins Achtelfinale des wichtigsten Turniers der Welt einzuziehen. Während Hoffnungsträger wie Martin Schindler und Gabriel Clemens direkt in ihrem ersten Spiel verloren, hat Pietreczko bereits zwei Partien für sich entschieden – darunter die Begegnung gegen Geheimfavorit Gian van Veen.
Ab und an saloppe Sprache
An den Weihnachtsfeiertagen, für die er auf der Insel blieb, zeigte Pietreczko, dass er nicht nur Playstation kann – sondern auch Albert Einstein. «Wenn’s alte Jahr erfolgreich war, dann freue dich aufs neue. Und war es schlecht, ja dann erst recht», zitierte Pietreczko den Wissenschaftler bei einem Post in den sozialen Netzwerken.
Mit seiner Sprache ist der Darts-Profi immer mal wieder etwas salopper unterwegs. Als er über sein Jahr 2024 und die deutlichen Schwankungen in seinen Leistungen sprach, erzählte er schon mal, seine Spiele abseits der großen Bühnen seien in diesem Jahr nicht «das Grüne vom Ei» gewesen.
Ausbildungen als Kellner, Maler und Postbote
Apropos Eier: Als Pietreczko im Vorjahr eine 3:1-Führung gegen den späteren Weltmeister Luke Humphries verspielte, wetterte Michael van Gerwen ohne Gnade: «Wie ist sein Name nochmal? Pietreczko? Er hat überhaupt keine Eier», sagte van Gerwen. Es war in Pikachus fünf WM-Spielen die bislang einzige Niederlage. Die schmerzte aber ganz besonders.
Pietreczko wird nach der WM Landsmann Clemens überholen und zur neuen deutschen Nummer zwei in der Rangliste. Das ist ein bemerkenswerter Aufstieg, wenn man bedenkt, welchen Werdegang der gebürtige Berliner hinter sich hat.
Pietreczko absolvierte Ausbildungen als Postbote, als Kellner sowie als Maler, bevor er den Wechsel an die Scheibe wagte. Dort scheint er seine Berufung gefunden zu haben. «Ich sehe mich so lange Darts spielen, bis ich nicht mehr stehen kann», sagte er.
In London stehen Pietreczko britische Tage bevor. Gelingt gegen Williams ein Erfolg, geht es gegen Nathan Aspinall oder Andrew Gilding, die ebenfalls beide aus England kommen. Möglicher Viertelfinal-Gegner wäre Topfavorit und Teenager Luke Littler. Die Duelle haben durchaus Brisanz. Pietreczkos Widersacher Williams hatte im Vorjahr nach einem Sieg über den Deutschen Schindler umstrittene Aussagen mit Weltkriegsbezug getroffen und sich danach explizit dafür entschuldigt.
Quelle: dpa