Ohne die USA werde es schwierig, warnt Wolodymyr Selenskyj., © Nicolas Maeterlinck/Belga/dpa

Sorgen um die Ukraine: Europäer bereiten sich auf Trump vor

Einen Monat vor Donald Trumps Amtsantritt als US-Präsident bereitet sich die EU auf die Übernahme von deutlich mehr Verantwortung für die von Russland angegriffene Ukraine vor. Bei einem Gipfeltreffen in Brüssel stand am Donnerstag die Frage im Raum, wie das Land in die Lage versetzt werden könnte, mögliche Friedensverhandlungen mit Moskau aus einer Position der Stärke zu führen. 

Vor dem Hintergrund der schwierigen militärischen Lage im Osten des Landes bat der ukrainische Präsident Wolodymyr Selenskyj in Brüssel die EU-Staaten um weitere Luftverteidigungssysteme, mit denen auch Atomkraftwerke und Gasspeicher geschützt werden können. Außerdem warb er dafür, sich neuen französischen Plänen für eine internationale Truppenpräsenz in der Ukraine anzuschließen. Es sei entscheidend, dass Europa einen bedeutenden Beitrag zu Sicherheitsgarantien für sein Land leiste, sagte Selenskyj in einer Rede vor den Teilnehmern eines EU-Gipfels in Brüssel. Details nannte er nicht. Als wahrscheinlich galt, dass er sich auf Überlegungen für eine Friedenstruppe zur Absicherung eines möglichen Waffenstillstandes bezieht. Denkbar war aber auch eine Truppenpräsenz für militärische Ausbildungsprogramme für die ukrainischen Streitkräfte. 

Zudem forderte er die Partner eindringlich dazu auf, sein Land dabei zu unterstützen, Schutzräume an Schulen einzurichten und bei der Lebensmittelversorgung von Familien zu helfen. 

Angst vor erzwungenem Frieden

Hintergrund der Gespräche in der EU und unter europäischen Nato-Staaten ist die Sorge, dass Donald Trump als US-Präsident versuchen könnte, die Ukraine und Russland zu Verhandlungen zu drängen. In Kiew wird befürchtet, dass er der Ukraine androhen könnte, im Fall einer Weigerung die Militärhilfe einzustellen. Trump hatte zuletzt angekündigt, den Krieg Russlands gegen die Ukraine möglichst schnell beenden zu wollen. Für die Europäer stellt sich in diesem Zusammenhang auch die Frage, ob sie im Fall der Fälle Friedenstruppen für eine Absicherung eines Waffenstillstandes in die Ukraine schicken würden.

Für den Fall, dass die USA ihre Unterstützung ganz einstellen sollten, zeichnete Selenskyj ein düsteres Bild: «Es ist sehr schwierig, die Ukraine ohne die Hilfe der USA zu unterstützen, und genau das werden wir mit Präsident Trump besprechen, wenn er im Weißen Haus ist», sagte er in Brüssel. «Ich glaube, nur gemeinsam können die Vereinigten Staaten und Europa Putin wirklich stoppen und die Ukraine retten.»

Scholz sieht gute Kooperationsmöglichkeiten mit Trump

Für die EU geht es deswegen auch darum, Trump davon zu überzeugen, dass eine fortgesetzte Unterstützung der Ukraine auch im Interesse der USA ist. Seit Wochen wird deswegen auch immer wieder darauf hingewiesen, dass ein Sieg Russlands auch dessen Verbündeten China stärken würde. China sieht Trump als Hauptkonkurrenten der USA an.

Bundeskanzler Olaf Scholz zeigte sich beim EU-Gipfel zuversichtlich, dass auch unter Trump eine gute Kooperation zwischen den USA und Europa möglich sein werde. Mit Blick auf die Bemühungen um eine Beendigung des Krieges bekräftigte er, dass es keine Entscheidungen über die Köpfe der Ukrainerinnen und Ukrainer hinweg geben dürfe. «Das gilt für uns wie für alle anderen.»

Scholz rief dazu auf, Einigkeit zu zeigen. Es müsse klar sein, dass man bereit sei, der Ukraine solange Unterstützung zu leisten, wie diese gebraucht werde. Scholz sagte, er habe bei den Bündnispartnern dafür geworben, weitere Hilfe mit Luftverteidigung, Artillerie oder auch Munition zu prüfen. Für Deutschland versprach er: «Wir werden auch weiter der größte Unterstützer der Ukraine in Europa bleiben.» Alleine die zugesagten oder gelieferten Rüstungsgüter hätten einen Wert von 28 Milliarden Euro.

EU ohne einheitliche Linie

Ob es die von Scholz geforderte Einigkeit geben kann, ist allerdings höchst fraglich: Mit Ungarn unterstützt auch einer der Mitgliedstaaten die Politik Trumps. Regierungschef Viktor Orbán lehnt es bislang ab, die Ukraine weiter militärisch zu unterstützen. Es muss deswegen damit gerechnet werden, dass er mögliche neue Pläne für einen Ausbau der EU-Unterstützung mit einem Veto blockiert. Bereits derzeit können wegen der ungarischen Haltung knapp sieben Milliarden Euro an EU-Mitteln nicht verwendet werden. 

Orban hatte jüngst auch für eine weihnachtliche Waffenruhe und einen großangelegten Gefangenenaustausch zwischen der Ukraine und Russland geworben und behauptet, Russland sei bereit, einem solchen Vorschlag zuzustimmen. Selenskyj sagte dazu, dass Orban kein Mandat habe, die Verhandlungen mit Putin zu organisieren.

Vertrauliche Gespräche beim Nato-Generalsekretär

Vor den Gesprächen auf EU-Ebene hatte es am späten Mittwochabend bereits vertrauliche Gespräche im Nato-Rahmen gegeben. An einem von Nato-Generalsekretär Mark Rutte organisierten Treffen nahmen neben Scholz auch die Staats- und Regierungschefs von Polen, Italien, Dänemark und den Niederlanden teil. Zudem waren Selenskyj, die Außenminister aus Frankreich und Großbritannien sowie EU-Kommissionspräsidentin Ursula von der Leyen und EU-Ratspräsident António Costa dabei. 

Ob und wenn ja, wie konkret es bei den Gesprächen auch um die mögliche Entsendung von Friedenstruppen zur Absicherung einer möglichen Waffenruhe in der Ukraine ging, blieb unklar. Rutte warnte in diesem Zusammenhang auch vor großen öffentlichen Debatten über einen möglichen Deal zwischen der Ukraine und Russland. «Wenn wir jetzt untereinander diskutieren, wie ein solches Abkommen aussehen könnte, machen wir es den Russen einfach. Sie sitzen entspannt in ihren Sesseln, hören unseren Diskussionen zu, rauchen genüsslich eine Zigarre und sehen sich das alles im Fernsehen an», sagte er. «Das halte ich nicht für hilfreich.»

Rutte fügte hinzu, dass es in Demokratien natürlich unvermeidlich sei, diese Dinge offen zu diskutieren. Aus seiner Sicht wäre es aber klug, das «etwas einzudämmen» und sich auf das Wesentliche zu konzentrieren – also Selenskyj und Ukraine so stark zu machen, dass sie Gespräche mit den Russen aufnehmen könnten, wenn sie selbst das für richtig hielten.

Quelle: dpa