Es gibt Schauspielerinnen und Schauspieler, die man für ewig mit einer bestimmten Rolle in Verbindung bringt. Und dann gibt es solche, die immer wieder neue Facetten zeigen, in jedem Film anders wirken als in dem davor. So wie Saoirse Ronan. Die irisch-US-amerikanische Schauspielerin war im Alter von 30 Jahren schon viermal für den Oscar nominiert.
Mit «The Outrun» könnte eine fünfte Nominierung folgen. Im neuen Film von Nora Fingscheidt verkörpert sie eine junge Frau, die auf einer einsamen schottischen Insel versucht, vom Alkohol loszukommen. Ronan schafft es, mit ganz subtilen Mitteln eine große Emotionalität in dem Drama zu erzeugen.
Regisseurin Fingscheidt lobt ihre Hauptdarstellerin
«Es gibt nicht so viele Schauspielerinnen, die ganz allein so einen Film auf einer einsamen Insel tragen können», sagt Fingscheidt im Gespräch der dpa. «Da gibt es vielleicht eine Handvoll und sie ist eine davon.»
Saoirse Ronan (gesprochen ungefähr: «Sörsche Ronan») ist aber nicht der einzige Grund, warum «The Outrun» bemerkenswert ist. Fingscheidt hat es wieder geschafft, einen erschütternden Film zu machen, der aus einem ganz bestimmten Milieu kommt und von dort über allgemeine Fragen nachdenkt.
Was ist Familie? Wie geht man damit um, wenn man in einem auf die eine oder andere Art gewaltsamen Umfeld aufgewachsen ist? Diesen Themen spürte Fingscheidt schon in ihrem hochgelobten Drama «Systemsprenger» nach, das sie international bekannt machte, oder in «The Unforgivable» mit Sandra Bullock.
«Mich interessieren radikale Figuren am Rande der Gesellschaft, die mit sich selbst zu kämpfen haben», sagt Fingscheidt, die aus Braunschweig stammt. «Die Realität ist ja, wir alle tragen alles in uns. Wir tragen Potenzial zu Wunderschönem und Potenzial zu ganz Schrecklichem und Destruktivem. Das ist alles in uns aufgrund unseres Menschseins. Und da wird es für mich interessant.»
Darum geht es in der Verfilmung
«The Outrun» basiert auf einem autobiografischen Buch von Amy Liptrot. Erzählt wird von Rona, die nach mehr als einem Jahrzehnt in London und einem Reha-Aufenthalt in ihre Heimat auf den entlegenen schottischen Orkney-Inseln zurückkehrt. Inmitten der einzigartigen Landschaft setzt sie sich mit sich selbst auseinander. Erinnerungen aus ihrer Kindheit und den ausufernden Jahren in London vermischen sich.
«Als ich das Buch gelesen habe, wusste ich erst gar nicht, wie man das verfilmen soll, weil es so innerlich ist», sagt Fingscheidt. «Es fängt an wie eine Tagebuchsammlung, ohne Plot. Und irgendwann hat es mich aber bekommen, weil es so brutal ehrlich war.»
Ronas Vater ist bipolar und lebt in einem heruntergekommenen Wohnwagen, ihre Mutter ist streng religiös. Sie selbst ist einsam, hat keine Pläne für die Zukunft und beginnt schließlich einen Job als Vogelzählerin. Sie zieht dafür in eine einsame Hütte und sucht die Orkney-Inseln nach Wachtelkönigen ab. Ihr Interesse an Flora und Fauna intensiviert sich.
Alkoholismus aus der Sicht einer jungen Frau
Immer wieder suchen Rona Erinnerungen an frühere Alkoholexzesse heim. Fingscheidt sagt dazu: «Erstmal denkt man sich: „Oh nein, nicht noch ein Film über einen Alkoholiker.“ Die Buchvorlage von Amy Liptrot erzählt aber eher von Heilung als von Sucht. Also natürlich schaut sie zurück in die Sucht, aber es geht darum, wie man da rauskommt. Und so eine Geschichte habe ich noch nicht gesehen, vor allen Dingen nicht aus der Sicht einer jungen Frau.»
Alkoholismus werde jungen Frauen oft abgeschrieben, so die Regisseurin: «“Ach, du bist doch nicht alkoholabhängig, du feierst nur ganz gerne.“ Alkoholismus, das sind arbeitslose 50-Jährige oder so. Aber es gibt durchaus junge Menschen, die es absolut nicht unter Kontrolle haben und für die das ein sehr fataler Abstieg sein kann. Es ist so eine präsente Droge.» Man werde als langweilig abgestempelt, wenn man keinen Alkohol trinken will. «Und das macht es für Leute wahnsinnig schwer, nüchtern zu bleiben.»
Am Ende findet Rona einen überraschenden Ausweg. «Es war wichtig, kein Ende zu erzählen nach dem Motto: Jetzt ist sie nüchtern und bekommt zwei Kinder und gliedert sich ein und kriegt einen Job», sagt Fingscheidt. Sie habe ein positives Ende gewollt, «das aber trotzdem diesen Wahnsinn und diese Extremität, mit der sie aufgewachsen ist und die sie in sich trägt, spiegelt.»
Ronan und Fingscheidt finden für dieses Filmende eindrucksvolle Bilder. Ohne zu viel zu verraten: Die Natur wird am Schluss gewissermaßen zum Singen gebracht. Und die Protagonistin zeigt sich einmal mehr ganz anders als zuvor.
Quelle: dpa