Als das sich so lange anbahnende Karriereende von Rafael Nadal um kurz nach Mitternacht feststand, waren doch alle irgendwie überrascht. Während die Niederländer zu den Klängen von «Viva Hollandia» über den Centre Court tanzten, saß die spanische Tennis-Legende im Kreis seiner Mitspieler mit versteinerter Miene auf einem Stuhl. Es dauerte eine gefühlte Ewigkeit, bis die Abschiedszeremonie im Palacio de Deportes José María Martín Carpena begann.
Mit einer klaren Zweisatz-Niederlage gegen Botic van de Zandschulp hatte Nadal (38) die überraschende 1:2-Niederlage gegen die Niederlande im Viertelfinale der Davis-Cup-Finals selbst eingeleitet. Als anfeuernder Zuschauer erlebte er schließlich auf der Tribüne, wie seine Zeit als Aktiver mit der Niederlage des spanischen Doppels ohne eigenes Zutun zu Ende ging.
Veranstalter auch überrascht
Es war ein etwas seltsamer, ja eigentlich unwürdiger Abschluss für einen der größten Tennisspieler der Geschichte. Turnierdirektor Feliciano Lopez hatte im Vorfeld einen «ganz besonderen Abschied für diesen ganz besonderen Sportler und Menschen» angekündigt. Doch die Veranstalter waren offenbar nicht darauf vorbereitet, dass Nadals Ende schon nach der ersten Partie der Spanier in Malaga feststehen würde.
Nadal hat in seiner eindrucksvollen Karriere praktisch alles gewonnen. 22 Grand-Slam-Titel, allein 14 Mal die French Open, Gold bei Olympia. Aber als das Ende seines Tennis-Lebens plötzlich tatsächlich gekommen war, wollte er nicht an Titeln und Trophäen gemessen werden. «Die Art und Weise, wie ich in Erinnerung bleiben will, ist als eine gute Person aus einem kleinen Dorf auf Mallorca», sagte Nadal.
Videobotschaften führen zu Tränen
In einer langen Rede bedankte sich der Mallorquiner bei seiner Familie und vielen Weggefährten. Seine Frau Maria und sein zwei Jahre alter Sohn Rafael verfolgten die Worte gerührt auf der Tribüne. Lange Zeit konnte Nadal die Tränen bei der zunächst erstaunlich emotionslosen Ehrung unterdrücken.
Doch als auf dem Videowürfel Botschaften von alten Rivalen wie Roger Federer oder Novak Djokovic und spanischen Fußballstars wie Andrés Iniesta oder Raúl eingeblendet wurden, flossen doch die Tränen. «Es war eine große Ehre, mit und gegen dich zu spielen», sagte Nadals langjähriger Gegner und heutiger Freund Federer. «Die Leidenschaft und deine Intensität waren etwas, das so viele Spieler inspiriert hat», sagte Andy Murray, der im Sommer selbst zurückgetreten war.
Bescheiden auch im Abschied
Wie der Brite wird Nadal vor allem auch für seinen einwandfreien Charakter und seine Bescheidenheit in Erinnerung bleiben. Das bewies er auch in der Stunde seines Abschieds. «Viele Leute arbeiten hart. Viele Leute versuchen jeden einzelnen Tag ihr Bestes. Ich hatte sehr viel Glück. Ich war ein Kind, das seinen Traum verfolgt und das mehr erreicht hat, als ich mir je erträumt hätte», sagte Nadal und wurde ein letztes Mal von seinen Fans bejubelt.
«Gracias», titelte die Sportzeitung «Marca» am Mittwoch hundertfach auf Seite eins. «Rafa war vieles: Ein Mensch aus Fleisch und Blut, nahbar und menschlich (…). Er war einzigartig. Er war Rafa.» Und «Munde deportivo» schrieb: «Sein Vermächtnis bleibt unabhängig von (dem Ergebnis in) Malaga erhalten. Danke, Rafa. Für immer und ewig. (…) Er hinterlässt ein unauslöschliches Erbe.»
Paris 2022 als perfektes Ende
Sportlich hatte sich Nadal im Prinzip schon vor einer ganzen Weile verabschiedet. Sein letzter Höhepunkt war der Gewinn der French Open 2022. Ein letztes Mal hatte er in seinem Tennis-Wohnzimmer seinen Körper an seine Grenzen gebracht – und darüber hinaus. Zwei Wochen lang spielte er mit einem betäubten Fuß, nur um noch einmal im Stade Roland Garros zu triumphieren.
Eigentlich wäre dieser 22. Grand-Slam-Titel der perfekte Zeitpunkt für Nadals Karriereende gewesen. Doch die Liebe zum Tennis war im Juni 2022 noch zu groß, um den Schläger aus der Hand zu legen. Immer wieder quälte sich Nadal nach Verletzungen durch die Reha. Auch jetzt hatte er in den vergangenen Wochen in seiner Akademie auf Mallorca noch einmal alles versucht, um sich für den Schlussakt seiner Karriere in Form zu bringen.
Körper spielt nicht mehr mit
Doch die körperlichen Strapazen einer 22 Jahre langen Karriere waren in seinem letzten Spiel einfach nicht mehr zu kaschieren. Sein letztes offizielles Match hatte er bei den Olympischen Spielen in Paris Ende Juli gegen den Serben Djokovic bestritten. Schon da war er kein ebenbürtiger Gegner mehr gewesen.
Den perfekten Abschied gebe es nicht, hatte Nadal, der in seiner Karriere 1080 Matches gewonnen hat, vor den Davis-Cup-Finals gesagt. «Die Film-Enden sind für amerikanische Filme. Ich habe schon vor langer Zeit erkannt, dass ich nicht so einen haben werde.» Einen etwas würdigeren Rahmen hätte einer der größten Tennisspieler der Geschichte aber doch verdient gehabt.
Quelle: dpa