Die hohen Ansprüche von Borussia Dortmund vertritt kaum jemand glaubwürdiger als Lars Ricken. In der Vita des Sport-Geschäftsführers stehen drei deutsche Meisterschaften, ein Europa- und ein Weltpokal-Sieg mit seinem Club. Das entscheidende Tor im Champions-League-Finale gegen Juventus Turin schoss der heute 48-Jährige 1997 bekanntlich selbst.
Und auch wenn sein früherer Teamkollege und heutiger Berater Matthias Sammer sie vielleicht etwas zackiger formuliert hätte, war Rickens Botschaft nach dem Dortmunder 3:1-Sieg beim VfL Wolfsburg klar: «Bei der Qualität haben wir die Erwartungshaltung, dass wir mit dieser Mannschaft Minimum den vierten Platz erreichen.»
Um sich erneut für die Champions League zu qualifizieren, werde man in der zweiten Saisonhälfte aber einen «Punkteschnitt brauchen, der deutlich über zwei Punkten pro Spiel liegt», sagte Ricken. «Es wird noch eine riesen Herausforderung und ein absoluter Kraftakt.»
Ein halbes Jahr ist es jetzt her, dass in Dortmund ein neuer Geschäftsführer (Ricken), ein neuer Cheftrainer (Nuri Sahin), ein neuer Kaderplaner (Sven Mislintat) und fünf neue Spieler für rund 80 Millionen Euro engagiert wurden. Und mit der ersten Zwischenbilanz an Weihnachten ist niemand zufrieden.
Der überzeugende Sieg in Wolfsburg verhinderte erst einmal, dass der Champions-League-Finalist der Vorsaison das Jahr 2024 als Zehnter oder Elfter der Bundesliga-Tabelle beendet. Dass der BVB nun wieder «in Schlagdistanz» (Ricken) zu den Plätzen drei und vier liegt, veränderte aber auch den Blick. Es geht jetzt weniger darum, was alles schieflief im ersten Halbjahr mit dem Trainer Sahin. Sondern, was von dieser Zusammenarbeit noch zu erwarten ist.
Brandts klares Bekenntnis zu Sahin
«Ich vertraue dieser Mannschaft und ich vertraue diesem Trainer zu 100 Prozent», sagte der Nationalspieler Julian Brandt nach dem letzten Spiel des Jahres. «Ich glaube an diesen Weg und ich glaube auch, dass der viel Positives mit sich bringen wird.» Bis dahin müsse diese Mannschaft vor allem «lernen, erwachsener zu werden». Mehr Beständigkeit, weniger Ausschläge. Mehr «Schärfe» (Sahin), weniger Selbstzufriedenheit.
Der Abend in Wolfsburg lieferte noch einmal einen Eindruck davon, was den neuen Trainer Sahin bei aller Unerfahrenheit von seinem Vorgänger unterscheidet. Wo Edin Terzic auf Kontrolle setzte, ging Sahin mit seiner Aufstellung ins Risiko. Und wenn Kritik den alten Trainer immer etwas misstrauisch machte, ist sein Nachfolger manchmal der lauteste Kritiker von allen.
«Das Spiel heute beschreibt uns in der Hinrunde», sagte Sahin: «Wenn wir in Fahrt kommen, sind wir gut. Wir haben eine sehr, sehr gute Mannschaft. Aber wir müssen auf dem Gaspedal bleiben. Die zweite Halbzeit kannst du nicht spielen.» Er habe schon «mit dem Anstoß gespürt, dass wir uns zu sicher waren. Das muss man klar ansprechen. Ich kann hier nichts verstecken.»
Kommt noch ein Abwehrspieler?
In der dreiwöchigen Winterpause bis zum Re-Start gegen den deutschen Meister Bayer Leverkusen (10. Januar, 20.30 Uhr/Sat.1 und DAZN) haben die Dortmunder deshalb auch noch einiges zu tun. Der Vertrag mit dem Sportdirektor Sebastian Kehl soll in den nächsten Tagen verlängert werden, auch wenn die Ballung von Meinungen und Experten auf der Führungsebene schon einiges an Reibungsverlusten und Kompetenzgerangel erzeugt hat.
Und der dünne Kader könnte in der Abwehr noch etwas Zuwachs gebrauchen. Auch wenn Ricken zu diesem Thema sagte: «Wir haben nicht nur im Sommer, sondern auch in den Jahren davor viel in die Mannschaft investiert. Dementsprechend muss es sowohl sportlich als auch wirtschaftlich sinnvoll sein, wenn wir etwas machen.» Viele glauben zwar, «dass wir zu wenig Spieler haben. Aber die Spieler, die wir heute eingewechselt haben, waren alles Nationalspieler.» So wie sich das für einen Club wie Borussia Dortmund und seine hohen Ansprüche gehört.
Quelle: dpa