Stereotype hinter Milchglas: Wie Kolonialismus nachwirkt

Wie deutsche Kolonialgeschichte nachwirkt, erzählt im Dortmunder LWL-Industriemuseum auf Zeche Zollern zum Beispiel ein Besen: Hergestellt ist der bis heute handelsübliche robuste Straßenfeger aus Fasern der Piassava-Palme. «Herforder Besitzer einer Piassava-Borstenfabrik wurden mit dem Produkt zu Millionären», erklärt Kuratorin Barbara Frey.

Das koloniale Haushaltsgerät und Symbol wirtschaftlicher Ausbeutung der Kolonien ist nur eines von 250 Exponaten einer inhaltlich dichten Ausstellung des Landschaftsverbandes Westfalen Lippe (LWL), die ab Freitag zu sehen sein wird – und eines der unverfänglichsten. Mit der Schau «Das ist kolonial», die am Donnerstagabend eröffnet wird und bis Oktober 2025 zu sehen sein soll, will der LWL das Erbe deutscher Kolonialgeschichte in Westfalen sichtbarer machen.

Manche Ausstellungsstücke hat das Museum allerdings vorsorglich hinter Milchglas verborgen – vor allem aus Rücksicht auf Menschen, die aufgrund ihres Aussehens oder der Hautfarbe Rassismuserfahrungen gemacht haben. Der Betrachter muss herantreten, den Blickwinkel ändern oder eine Folie heben, soll gewarnt sein: «Wenn wir über Kolonialismus reden, müssen wir auch über Rassismus reden. Das ist eng miteinander verbunden», sagt Zola Wiegand M’Pembele, die am Begleitheft für Kinder mitgewirkt hat und durch die Ausstellung führen wird. Für People of Color könne es mitunter schmerzhaft sein, Vitrinen voller stereotyper Afrikabilder zu sehen oder Objekte, die mit der eigenen Familienhistorie verbunden sein können, erklärt die schwarze Frau.

Da ist etwa eine damals weit verbreitete Missions-Spendendose in Form eines schwarzen, knienden Jungen, der nach Einwurf eines Geldstücks dankbar nickt. Fotos sogenannter Völkerschauen, in denen Menschen mit schwarzer Hautfarbe wie Tiere in Zoos zur Schau gestellt wurden; Kinderbücher wie Pippi Langstrumpf, in denen das N-Wort in älterer Auflage noch Verwendung fand. Auch die Themen Raubkunst und ihre Rückgabe sowie der Widerstand indigener Bevölkerungsgruppen gegen die Fremdherrschaft, der in Kriege bis hin zum Völkermord mündete, werden angerissen.

All das erzähle, wie wirkmächtig koloniale Strukturen bis heute sind – betonen die Museumsmacher. «Unser gemeinsames Ziel ist es, die Spuren des Kolonialismus und seine Folgen für unsere heutige Gesellschaft in der Region aufzuzeigen und dieses bisher wenig beachtete Thema aus unterschiedlichen Perspektiven zu beleuchten», so der LWL-Direktor Georg Lunemann.

Die Entstehungsgeschichte der Ausstellung unterstreicht dabei, wie stark sich die Blickwinkel unterscheiden: Viele Stimmen – auch ausdrücklich von marginalisierten Gruppen – sollten schon bei der Ausstellungskonzeption in einer Mitmach-Werkstatt zu Wort kommen. Wöchentlich war diese Werkstatt vier Stunden lang als sogenannter Safer Space für schwarze Menschen und People of Color reserviert worden. Monate nach dem Start der Werkstatt war dem Museum dann in Beiträgen in den Sozialen Medien vorgeworfen worden, Weiße auszugrenzen.

Eine Flut von Kommentaren, die nach Angaben des Museums auch rassistischen und persönlichkeitsverletzenden Charakter hatten, erreichte das Museum. Am Museumstor wurden unter anderem rechte Parolen befestigt, woraufhin das Museum die Polizei einschaltete. Diese ermittelte nach eigenen Angaben in der Folge in mehreren Fällen wegen des Verdachts der Volksverhetzung.

Lokale AfD-Politiker schäumten, hier zeige sich mit öffentlichen Mitteln geförderter «Rassismus gegen Weiße». Ihre Forderungen nach Entlassungen der Museumsleitung und anderen Konsequenzen verhallten allerdings ungehört. Andere sahen in eben jener AfD die Drahtzieher eines Shitstorms: Von einer «perfiden Kampagne» von AfD-Politikern sprach etwa Olaf Zimmermann, Geschäftsführer des Deutschen Kulturrates, in Reaktion auf die Kritikwelle. Und weiter: «Rechte Kräfte wollen unsere Kunstfreiheit einschränken. Das dürfen wir nicht zulassen.»

Nach den Erfahrungen, sagt Museumsleiterin Anne Kugler-Mühlhofer nun bei der Präsentation der Ausstellung, habe man das Format des «Safer Spaces» weiterentwickelt. Gruppenspezifische Angebote soll es auch begleitend zur Ausstellung geben. Genauer wird sie nicht.

«Das LWL-Museum hat mit diesem Safer Space Pionierarbeit geleistet», fügt Wiegand M’Pembele hinzu – gerade in einer Museumswelt, in der eine eurozentrische Sichtweise weiter dominiere, könne das wehtun. Sie und auch andere im Kuratorinnen-Team wünschen sich daher auch weiter geschützte Räume, in denen nicht weiße Menschen sich mit dem Thema auseinandersetzen können.

Quelle: dpa