Um die Kleinstadt Kurachowe im ostukrainischen Gebiet Donezk wird seit Wochen erbittert gekämpft.(Archivbild), © -/Ukrinform/dpa

Ukraine: 1.000 Tage Krieg – und es droht weitere Eskalation

In der Ukraine ist der 1.000 Tag des russischen Angriffskriegs mit Sorgen um eine weitere Eskalation des Konflikts angebrochen. An der Front stehen die ukrainischen Verteidiger schwer unter Druck, die Städte des Landes sehen sich schweren Angriffen aus der Luft ausgesetzt. Zugleich beschuldigt Moskau den Westen der Eskalation.

Im Osten der Ukraine laufen besonders erbitterte Gefechte um die an einem Stausee gelegene Kleinstadt Kurachowe im Gebiet Donezk. Russischen Truppen ist es bereits gelungen, südlich und nördlich von Kurachowe nach Westen vorzustoßen, womit eine Einschließung droht. Um die Eroberung der Stadt zu forcieren, ist die russische Armee Militärbeobachtern zufolge zuletzt aber dort auch zu verlustreichen Frontalangriffen übergegangen.

Selenskyj besucht umkämpfte Städte Pokrowsk und Kupjansk

Etwas weiter nördlich laufen Kämpfe östlich der ebenfalls in Donezk gelegenen Stadt Pokrowsk. Die Fortschritte der Russen hier sind allerdings gering. Gefährlich zugespitzt hat sich die Lage hingegen noch weiter nördlich im Gebiet Charkiw. Dort konnte jüngst eine kleine Kolonne russischer Panzerfahrzeuge in die strategisch wichtige Stadt Kupjansk eindringen. Auch wenn der Vorstoß mit der Aufgabe der russischen Soldaten endete, sahen Militärbeobachter wie Jan Matwejew erschreckende Schwächen im Verteidigungswall der Ukrainer und warnten vor einer Wiederholung eines solchen Szenarios in größerem Maßstab.

Der ukrainische Präsident Wolodymyr Selenskyj, der im Gegensatz zu Kremlchef Wladimir Putin bereits mehrfach in unmittelbarer Nähe der Front war, hat nun sowohl Pokrowsk als auch Kupjansk besucht und Soldaten ausgezeichnet. Die Reise diente wohl der Stärkung der Truppenmoral. «Sowohl im Gebiet Donezk als auch in Charkiw halten wir unsere Positionen», sagte Selenskyj in seiner abendlichen Videobotschaft aus Kupjansk dazu. 

Moskau berichtet von hohen Verlusten Kiews

Zahlen über Opfer im Krieg sind immer mit höchster Vorsicht zu genießen – nun hat das russische Verteidigungsministerium eine – nicht zu überprüfende – Zählung veröffentlicht. Die ukrainischen Streitkräfte sollen demnach seit Kriegsbeginn vor exakt 1.000 Tagen über 900.000 Gefallene und Verwundete beklagt haben. Allein in diesem Jahr habe Kiew mehr Soldaten verloren als in den beiden ersten Kriegsjahren, behaupteten die Staatsagentur Tass und das Ministerium. Die Gesamtverluste Kiews bisher wurden mit insgesamt 906.500 Toten und Verwundeten beziffert. 

Opferzahlen in solchen Konflikten lassen sich in der Regel nicht unabhängig verifizieren. Weder Moskau noch Kiew haben bisher genaue Zahlen zu ihren jeweiligen Verlusten bekanntgegeben.

Zuletzt hatte die «New York Times» unter Berufung auf Militär- und Geheimdienstquellen der USA berichtet, dass bisher bereits 57.000 ukrainische Soldaten gefallen seien. Dies entspreche etwa der Hälfte der Verluste auf russischer Seite, hieß es.

Die russischen Verluste wurden zuletzt von der Nato auf über 600.000 Tote und Verwundete beziffert. Westliche Geheimdienste sprachen von 200.000 Toten und 400.000 Verwundeten in den russischen Reihen. Eine von ukrainischer Seite veröffentlichte Auflistung russischer Verluste seit Kriegsbeginn spricht von über 722.000 getöteten oder verwundeten Russen.

London: Bisher 50.000 ukrainische Soldaten ausgebildet

Hilfe in ihrem Abwehrkampf bekommt die Ukraine vom Westen. Großbritannien hat so rund 50.000 Soldaten aus der Ukraine seit Kriegsbeginn ausgebildet. Der morgige Tag markiere einen «blutigen Meilenstein», an dem die illegale Invasion vor 1.000 Tagen begonnen habe, sagte Verteidigungsminister John Healey am Montag im Parlament in London. Er könne bestätigen, dass mittlerweile 50.000 Menschen aus der Ukraine trainiert worden seien.

Die Briten hatten die «Operation Interflex», die von anderen Staaten unterstützt wird, im Sommer 2022 begonnen. Nach Angaben der britischen Regierung werden etwa Rekrutinnen und Rekruten ausgebildet, die bisher nur wenig oder keine militärische Erfahrung haben. Das Programm soll auch im kommenden Jahr weitergehen.

Russland schießt mit Raketen und wirft Westen Eskalation vor

Allerdings ist der Druck nicht nur an der Front gewaltig: Russland hat den Beschuss ukrainischer Städte und ziviler Objekte – auch mit weitreichenden Raketen – in den vergangenen beiden Tagen massiv verstärkt. Nach einem schweren Luftangriff auf Ziele in der gesamten Ukraine am Sonntag gab es auch am Montag viele Tote und Verletzte nach einem Raketeneinschlag in Odessa und einem in Sumy.

Russland hat derweil auf Medienberichte über eine angebliche Freigabe weitreichender US-Waffen an die Ukraine für einen Einsatz in Russland mit scharfer Kritik und einer Warnung reagiert. Sollte die Ukraine diese Waffen gegen Russland einsetzen, bedeute das eine direkte Verstrickung der USA und ihrer Verbündeten in den Krieg, schrieb die Sprecherin des Außenministeriums, Maria Sacharowa bei Telegram. «Russlands Antwort wird in so einem Fall adäquat und spürbar sein.» Nähere Details zu einer möglichen Reaktion gab sie nicht preis.

Die Freigabe bedeute eine «maximale Eskalation des gegen Russland entfachten hybriden Kriegs», sagte Sacharowa. Der Schritt sei gleichbedeutend mit einer radikalen Änderung des Kriegscharakters, da die USA und deren westliche Verbündete damit zu direkten Kriegsbeteiligten würden. Dass die USA dann direkt in den Krieg verwickelt seien, hatte Stunden zuvor schon Kremlsprecher Dmitri Peskow erklärt. Beide berufen sich dabei auf eine Aussage von Russlands Präsident Wladimir Putin, der Ende Oktober behauptet hatte, ukrainische Soldaten könnten die Raketen gar nicht selbst bedienen.

US-Medien hatten zuvor übereinstimmend berichtet, dass der scheidende US-Präsident Joe Biden der Ukraine erstmals erlaubt, taktische Raketen des Typs ATACMS mit einer Reichweite von mehreren Hundert Kilometern gegen Ziele in Russland einzusetzen.

Der ukrainische Außenminister Andrij Sybiha hat die mutmaßliche US-Erlaubnis als möglichen Wendepunkt im Krieg bezeichnet. «Kurz gesagt, es könnte ein Wendepunkt sein, und je weiter entfernt die Ukraine zuschlagen kann, desto kürzer wird der Krieg sein», sagte er vor einer Sitzung des Weltsicherheitsrates in New York.

Neue Drohnenangriffe

Die Kriegsparteien haben einander in der Nacht erneut mit Kampfdrohnen angegriffen. Ukrainische Drohnen wurden über der südrussischen Stadt Rostow am Don gesichtet, berichtete die Staatsagentur Tass. Beim Anflug sei eine Drohne über der Hafenstadt Taganrog an der Küste des Schwarzen Meeres abgeschossen worden. Weitere Angaben zu dem Drohnen-Einflug wurden nicht gemacht.

Russische Drohnenschwärme drangen am frühen Morgen aus mehreren Richtungen in die Ukraine ein. Einzelne Gruppen der Drohnen wurden über Kiew, Tscherkassy, Charkiw und Mykolajiw gesichtet.

Eine Kampfdrohne schlug in einem Wohnhaus in der Region Sumy ein. Dabei wurden nach Medienberichten mehrere Menschen getötet und verletzt. Zahlen wurden zunächst nicht genannt. Erst am Wochenende war ein Wohnhaus in Sumy von einer russischen Rakete getroffen worden. Dabei starben zwölf Menschen, über 50 Hausbewohner wurden verletzt.

Solidaritätskundgebung für die Ukraine in Köln

Aus Anlass des 1.000. Kriegstages ist am Dienstag (18.00 Uhr) in Köln eine Solidaritätsdemonstration für die Ukraine geplant. Auf der Kundgebung soll an die Bundesregierung appelliert werden, die Unterstützung für die Ukraine deutlich zu verstärken. Organisator ist der deutsch-ukrainische Verein Blau-Gelbes-Kreuz, angemeldet sind nach Angaben der Polizei 2.000 Teilnehmer.

Quelle: dpa