Die Europäische Union und die Vereinten Nationen bauen nach dem Sturz von Baschar al-Assad Kontakte zu den neuen Machthabern in Syrien auf. Die EU-Außenbeauftragte Kaja Kallas schickt dafür den deutschen Spitzendiplomaten Michael Ohnmacht nach Damaskus. Der UN-Sondergesandte Geir Pedersen sprach dort bereits mit dem Anführer der Islamistengruppe HTS, Ahmed al-Scharaa.
Die Miliz HTS, die Syriens Assad vor gut einer Woche in einer Blitzoffensive stürzte, gab sich dabei weiter moderat und zugänglich. So erklärte sie, al-Scharaa habe mit Pedersen über die «Einheit der syrischen Gebiete» gesprochen sowie über den Wiederaufbau und politischen Übergang im Land. Auf Fotos des Treffens ist al-Scharaa mit Hemd und Sakko zu sehen. Zuvor hatte er sich meist in grüner Militäruniform oder vor Jahren noch mit Dschihadisten-Turban gezeigt.
EU: Entwicklungen wie in Libyen und Afghanistan vermeiden
Für die EU geht es bei den geplanten Kontakten vor allem um die Frage, wie sie zu einer Stabilisierung des Landes beitragen und wie verhindert werden kann, dass es zu Entwicklungen wie in Libyen oder Afghanistan kommt.
Eine gewichtige Rolle spielt dabei auch, dass viele Mitgliedstaaten hoffen, dass dann Syrien-Flüchtlinge freiwillig in ihre Heimat zurückkehren oder sonst auch abgeschoben werden können. Allein in Deutschland leben Hunderttausende Menschen, die vor dem Assad-Regime geflüchtet sind, in allen EU-Staaten zusammen weit mehr als eine Million.
Bislang weiß allerdings niemand, ob Syrien unter den neuen Machthabern wirklich zur Ruhe kommt. EU-Chefdiplomatin Kallas räumte kürzlich ein, es gebe berechtigte Bedenken hinsichtlich der Risiken konfessionell motivierter Gewalt, des Wiederauflebens von Extremismus und eines Regierungsvakuums. Auch um dies zu verhindern, will die EU nun Gesprächskanäle zur HTS aufbauen, obwohl diese weiterhin auf der Terrorliste der Vereinten Nationen steht und deswegen mit EU-Sanktionen belegt ist.
Diskussion über Aufhebung von Syrien-Sanktionen
Von Diplomaten hieß es am Montag in Brüssel, die Sanktionen verhinderten keine Gespräche. Eine Aufhebung von Strafmaßnahmen sei allerdings nur denkbar, wenn mit der HTS wirklich positive Entwicklungen zu sehen sei. Derzeit dürfen der Gruppe zum Beispiel keine Gelder oder andere wirtschaftliche Ressourcen zur Verfügung gestellt. Personen sind zudem auch von Reiseverboten betroffen.
Wichtig werden deswegen in den kommenden Wochen auch die Lagebeurteilungen des deutschen Spitzendiplomaten Ohnmacht sein. Er ist bereits seit September Chef der EU-Syrien-Delegation. Zuvor arbeitete er unter anderem als deutscher Botschafter in Libyen sowie im Libanon und Saudi-Arabien. Er spricht nach eigenen Angaben unter anderem auch Arabisch und etwas Türkisch.
Al-Scharaa und Pedersen sprachen HTS zufolge unter anderem über die Resolution 2254 des UN-Sicherheitsrats von 2015 zum Bürgerkrieg in Syrien. Darin sind eine Waffenruhe, eine neue Verfassung und Wahlen vorgesehen. «Es ist notwendig, die Resolution zu aktualisieren, um der neuen Realität zu entsprechen», erklärte HTS. In der Resolution ist die Al-Nusra-Front, aus der HTS hervorging, gemeinsam mit der Terrormiliz Islamischer Staat (IS) als «terroristische Gruppe» genannt.
Nach UN-Angaben sagte Pedersen, dass ein notwendiger «umfassender politischer Übergang» auf Basis der Grundsätze der Resolution 2254 stattfinden müsse. Die Vereinten Nationen wollten «dem syrischen Volk jede erdenkliche Hilfe zukommen zu lassen.»
Türkei als wichtigster ausländischer Akteur
Auf internationaler Ebene kooperierte HTS, die in vergangenen Jahren die syrische Rebellenhochburg Idlib an der türkischen Grenze kontrollierte, teils mit dem türkischen Militär und Türkei-nahen Milizen. Erst am Donnerstag besuchte der türkische Geheimdienstchef Ibrahim Kalin Damaskus, zwei Tage später eröffnete die Türkei ihre Botschaft dort wieder. Die Türkei wird als Gewinner des Umbruchs gehandelt und als einflussreichster ausländischer Akteur.
Auch Katar wurden zuvor Verbindungen zur HTS nachgesagt. Berichten zufolge unterstützte und finanzierte das Golfemirat die Al-Nusra-Front, was die Regierung in Doha bestritten hat. Zwischen Katar und der HTS scheint es jetzt aber ebenso schnell Kontakte im Land zu geben wie mit der Türkei: Am Sonntag kam eine katarische Delegation mit Vertretern der Übergangsregierung von Mohammed al-Baschir zusammen, der zuvor die HTS-Regierung in Idlib führte. Ziel ist nach Angaben aus Doha unter anderem, die katarische Botschaft in Damaskus wieder zu öffnen.
Zuletzt nahmen Italien sowie Ägypten, Jordanien und weitere Länder im arabischen Raum den Betrieb in ihren Botschaften wieder auf. Konsularische Vertretungen gab es im Jahr 2022 für acht EU-Staaten, darunter Spanien, Polen und Tschechien. Seit 2012 vertritt Tschechien die USA in Konsularangelegenheiten, weil auch deren Botschaft geschlossen wurde.
Quelle: dpa