Wegen Verbrechen gegen die Menschlichkeit und Kriegsverbrechen hat das Hanseatische Oberlandesgericht in Hamburg ein ehemaliges Mitglied einer syrischen Regierungsmiliz zu zehn Jahren Haft verurteilt. Als Anführer der mit Ex-Machthaber Baschar al-Assad verbündeten Shabiha-Miliz habe sich der Angeklagte zwischen 2012 und 2015 in Damaskus an der Misshandlung, Folter und Versklavung von Zivilisten sowie an Plünderungen beteiligt, hieß es in der Urteilsbegründung.
Zivilisten zur Arbeit an der Front gezwungen
Die Miliz gehörte zu den Nationalen Verteidigungskräften (NDF). Dieser Milizenverband sollte in Zusammenarbeit mit einer Abteilung des militärischen Geheimdienstes oppositionelle Bestrebungen mit Gewalt unterdrücken. Durch den Stadtteil Al-Tadamon verlief im syrischen Bürgerkrieg die Frontlinie. Die NDF hätten dort eine «Schreckensherrschaft» errichtet, sagte der Vorsitzende Richter, des Staatsschutzsenats, Norbert Sakuth. An Kontrollpunkten ließ der Angeklagte willkürlich Zivilisten abführen. Sie mussten für die Regierungstruppen Sandsäcke schleppen, teilweise unter lebensgefährlichem Beschuss. «Der Angeklagte war in seinem Stadtteil wegen seiner Gewalttätigkeit und Aggressivität gefürchtet», sagte Sakuth.
Chats, Videos und 25 Zeugen
Die Zwangsarbeit wertete das Gericht als Versklavung. Mehrere der Opfer, die als Zeugen im Prozess aussagten, berichteten nach Angaben des Vorsitzenden Richters von Misshandlungen durch den Angeklagten. Im Stadtteil nutzte er seine Stellung aus, um sich in Läden von eingeschüchterten Besitzern umsonst zu bedienen. Das Gericht hörte 25 Zeugen und zwei Sachverständige. Als Beweismittel dienten Chatverläufe und Videoaufnahmen. Der Angeklagte bestritt die Vorwürfe.
Einmal habe er Gefangene auf einem Pickup abtransportiert und ihnen erklärt: «Wir werden euch töten.» Einer der Gefangenen erkannte den Angeklagten und fragte ihn nach dessen Tochter. Daraufhin ließ er diesen Mann als einzigen frei. Der Freigelassene sagte vor Gericht als Zeuge aus. Was mit den übrigen Gefangenen geschah, sei unbekannt.
Handwerker mit Plastikrohren geschlagen
Im August oder September 2013 sei ein Handwerker gefesselt und mit verbundenen Augen in ein Gefängnis gebracht worden. In einer Zelle habe ihn der Angeklagte ins Gesicht geschlagen und seine Untergebenen angewiesen, den Zivilisten stundenlang mit Plastikrohren zu traktieren. Als er zu Boden fiel, habe einer der Milizionäre so kräftig gegen seinen Kopf getreten, dass er gegen die Wand schlug und eine blutende Platzwunde erlitt. Hintergrund der Misshandlung war, dass der Mann Geld für Handwerkerleistungen bei der Familie des Angeklagten eingefordert hatte. «Du willst Geld? – Kannst du vergessen», habe ihm der Milizenanführer gesagt und nach Worten des Richters hinzugefügt: «Man werde sich die ganze Nacht um ihn kümmern.»
Zeugen in Angst
Auch andere ehemalige Bewohner von Al-Tadamon sagten vor Gericht aus. Sie hätten fast alle Angst vor dem Angeklagten gehabt, erklärte Sakuth. Zu ihrem Schutz brauchten sie im Prozess nicht ihre Personalien anzugeben. Ein Zeuge habe den ehemaligen Milizenführer zufällig in einer Bremer Asylunterkunft wiedergetroffen und ihm gesagt, hier könne er keine Zwangsarbeiter rekrutieren. Der Angeklagte habe daraufhin versucht, dessen Angehörige in Syrien einzuschüchtern.
Asylstatus aberkannt
Der Angeklagte war nach Angaben des Gerichts im Februar 2016 nach Deutschland eingereist und hatte einen Asylantrag gestellt. Am 2. August vergangenen Jahres wurde der Angeklagte in Bremen festgenommen. Sein Asylstatus wurde ihm nach Angaben einer Gerichtssprecherin entzogen.
Angeklagter beschwerte sich über Haftbedingungen
Im Prozess habe sich der Beschuldigte alle Vorwürfe geleugnet und sich über die Haftbedingungen in Deutschland beklagt. Der Richter ermahnte ihn: «Wenn wir über Haftbedingungen sprechen, sollten Sie mal an die Menschen in Syrien denken, die unter Ihrer Mitwirkung gefoltert wurden!»
Die Verfolgung von Kriegsverbrechen in Syrien ist nach Angaben der Gerichtssprecherin aufgrund des Weltrechtsprinzips möglich. Danach können Völkerstraftaten auch in Ländern zur Anklage kommen, in denen sie nicht begangen wurden. Die Staatsschutzsenate am Hanseatischen Oberlandesgericht sind auch für Schleswig-Holstein, Mecklenburg-Vorpommern und Bremen zuständig. Das Urteil ist noch nicht rechtskräftig.
Quelle: dpa